Der nachfolgende Leserbrief ist in der Frankfurter Rundschau am 15.9.2014 unter der Überschrift “Die Missstände in den Staatsanwaltschaften sind ein Problem” veröffentlicht worden:
Frankfurter Rundschau
60266 Frankfurt am Main
5. September 2014
NSU entging Festnahme wegen Behördenpannen / FR vom 5.9.2014
Lieber Bronski,
gemäß diesem Bericht hat u.a. die Staatsanwaltschaft bei den Ermittlungen gegen die mutmaßlichen Rechtsterroristen versagt. Rechtlich betrachtet bedeutet dies Strafvereitelung im Amt (§ 258a Strafgesetzbuch). Dieses Vergehen kommt öfters vor, als allgemein gekannt ist. Dies ist besonders daran zu erkennen, dass die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft keine Begründung enthält, warum sie keinen Anlass sieht, Ermittlungen aufzunehmen. Die begründungslose Einstellung verstößt gegen § 171 Strafprozessordnung und gegen Nr. 89 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren, die beide zwingend vorschreiben, dass dem Anzeigenerstatter zu begründen ist, warum die Staatsanwaltschaft keine Ermittlungen durchführen konnte.
Einige Zitate sollen die belegen, dass die Missstände in den Staatsanwaltschaften ein ernstes Problem sind, dass die Politik angehen sollte. Der ehemalige Generalstaatsanwalt von Schleswig-Holstein, Professor Dr. Heribert Ostendorf, stellt in seinem Artikel “Die Kriminalität der Mächtigen” im Anwaltsblatt 1991, Seite 70, fest: “Die Strafverfolgungsorgane funktionieren bei der Kriminalität der Schwachen, sie funktionieren weniger bei der Kriminalität der Mächtigen. … Es ist heute schon Allgemeinwissen, daß mit dieser Kriminalität (Anmerkung: gemeint ist die Wirtschaftskriminalität) erheblich höhere finanzielle Schäden verursacht werden als mit den Hundertausenden Diebstahlshandlungen zusammengenommen.” Ich habe in einem Leserbrief in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 5.3.2000 bezüglich staatsanwaltlichen Versagens Folgendes geschrieben: “Generalstaatsanwalt Schaefer führt zutreffend aus, dass Staatsanwälte und Richter sich auf ihre gesetzlichen Aufgaben beschränken müssen. Leider halten sie sich oft nicht daran, wenn es um die Kriminalität in den eigenen Reihen geht (Rechtsbeugung, Strafvereitelung im Amt und Parteiverrat bei ihren Juristenkollegen, den Rechtsanwälten.)”
Der ehemalige Richter auf Probe David Jungbluth, er war dies von Oktober 2012 bis Ende August 2013 in der saarländischen Justiz, schreibt in Betrifft JUSTIZ 2014, Seiten 17-22, unter der Überschrift “Die Qualität der Arbeit ist zweitrangig” zur Arbeit der Staatsanwaltschaft u.a.: “In diesem Zusammenhang stellt nach meiner Einschätzung – lediglich exemplarisch – das Instrument der sogenannten ‚pönalen Quote‘ in der Praxis der saarländischen Staatsanwaltschaft einen evidenten Verfassungsverstoß dar. Es handelt sich bei dieser um die Vorgabe, dass 20% der staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren mit einem Strafbefehl oder einer Anklage abzuschließen sind. … …die ‚pönale Quote‘ wird mit (vermeintlichen oder tatsächlichen) Bagatelldelikten erfüllt, die man zur Anklage bringt, während komplexere und deshalb zweitaufwendigere Verfahren weiter eingestellt werden, um die Arbeitsbelastung der jeweils zuständigen Bearbeiter zu reduzieren.”
Dieser Befund könnte geradezu auch für die staatsanwaltlichen Ermittlungen in der NSU-Sache geschrieben worden sein. Der Richter auf Probe Jungbluth ist aus dem Justizdienst freiwillig ausgeschieden, weil er, so seine mutige und verständliche Begründung in diesem Artikel ” sich außerstande sieht, in diesem systemischen Konglomerat aus politischer bzw. exekutiver Bequemlichkeit, Verantwortungslosigkeit oder Feigheit, das nicht selten auf Kosten seiner eigenen, schwächsten Mitglieder funktioniert, mitzuarbeiten, mich ihm unterzuordnen und ihm dabei meine gesamte Lebenszeit direkt oder indirekt zu opfern.
Es wäre zu begrüßen, wenn weitere Richter(innen) auf Probe den Mut hätten, diesen Schritt zu gehen. Dies könnte die Politik veranlassen, nicht nur die Arbeit der Staatsanwaltschaften einer kritischen Prüfung zu unterziehen.
Mit freundlichen Grüßen
( Horst Trieflinger )
Vorsitzender
“Die Missstände in den Staatsanwaltschaften sind ein Problem”, veröffentlicht in der FR am 15.9.2014
Frankfurter Rundschau
60266 Frankfurt am Main
30. August 2014
Edathy schlecht beraten / FR vom 30./31.8.2014
Lieber Bronski,
Herr Bommarius tadelt zu Recht den Rechtsanwalt von Herrn Edathy wegen dessen schlechter anwaltlicher Vertretung vor den Fachgerichten. Die fehlerhafte anwaltliche Beratung und Vertretung ist beileibe kein Einzelfall, sondern kommt leider sehr oft vor.
Der Präsident der Schleswig-Holsteinischen Rechtsanwaltskammer, Dr. Michael Purrucker, hat im BRAKMagazin 01/2012 “Ist Freiheit absolut?” seinen Kollegen u.a. folgende Vorwürfe gemacht: “Viele um ihre tägliche Existenz ringenden Rechtsanwälte liefern in ihrer Arbeit eine (beschämende) Qualität ab. … Jedes Mandat wird angenommen, egal aus welchem Rechtsgebiet es stammt. Das mag vor 30 Jahren noch möglich gewesen sein – heute ist es weiterer und sicherer Schritt in Richtung Abgrund.” Dr. Purrucker fordert deshalb, dass die Freiheit des Rechtsanwaltes unter Umständen einzuschränken ist oder aufhören muss: Das Berufsrecht müsste den einzelnen Kollegen zu kontinuierlicher Bildung und Fortbildung zwingen. Der Beruf des Rechtsanwaltes habe einen starken Gemeinwohlbezug, der Pflicht, Disziplin und damit Beschränkung der Freiheit bedeutet. Dem kann nur zugestimmt werden. Einige weitere Zitate mögen den Missstand in der Anwaltschaft mit zum Teil verheerenden Folgen für die Mandanten untermauern.
Der Amtsrichter Klaus Burckhardt schreibt in der Deutschen Richterzeitung 1988, Seite 186: “Wenn der Beruf seinen Mann nicht mehr ernährt und seine Frau schon gar nicht, dann bricht sich der Existenzdruck dort Bahn, wo er gerade will: bei der Kollegialität, bei der Werbung, beim Kampf um den lukrativen Mandanten, bei der Gebührenehrlichkeit, bei der Beratung über Erfolg von Klage und Rechtsmittel, bei der vorhaltlosen Identifizierung mit dem Willen des Mandanten.”
Joachim Wagner schreibt in seiner in diesem Jahr im Verlag C.H. Beck erschienenen Monographie “Vorsicht Rechtsanwalt – Ein Berufsstand zwischen Mammon und Moral” in der Einleitung u.a.: “20 bis 30 Prozent der Anwälte kümmern mit einem Einkommen im Bereich der Hartz IV-Sätze dahin. … Die Qualität des Rechtsrates ist in der Anwaltschaft bisher ein Tabu-Thema. Nur wenige Rechtskundler geben öffentlich zu, dass es in den letzten zehn Jahres zu einem Kompetenzverlust gekommen ist. … An den Spitzen der Berufsverbände dagegen vor allem Selbstbeweihräucherung. … Die Anwaltschaft und ihre Berufsorganisationen Bundesrechtsanwaltskammer und Deutscher Anwaltverein haben es bisher versäumt, eine ehrliche und selbstkritische Standortbestimmung vorzunehmen.” Die in dieser Monographie belegten gravierenden Missstände in der Anwaltschaft rechtfertigen den kritischen Titel.
Gemäß der von der Anwaltschaft selbst beschlossenen Berufsordnung Rechtsanwälte (BORA § 1 Abs. 2 Satz 2) “dient seine Tätigkeit der Verwirklichung des Rechtsstaats.” Dieser selbst auferlegten Verpflichtung ist die Anwaltschaft bisher nicht annähernd gerecht geworden. Die Anwaltschaft ist zu mahnen, diese Verpflichtung auch zu erfüllen und sollte sie nicht bereit sein, die Missstände in ihrem Berufsstand im Interesse ihrer Mandanten zu beseitigen, ist die Politik gefordert, dies durch gesetzliche Vorschriften zu erzwingen.
Mit freundlichen Grüßen
Horst Trieflinger, Vorsitzender
Frankfurter Rundschau
60266 Frankfurt am Main
7. August 2014
Sind die Gerichte unterbesetzt? – Leserbrief von A. Fischer / FR vom 7.8.2014
Lieber Bronski,
Alfred Fischer stellt in seinem Leserbrief die berechtigte Frage, ob die Gerichte heillos unterbesetzt sind. Wahrscheinlich hätte er diese Frage nicht gestellt, wenn ihm bekannt gewesen wäre, dass die hessischen Richter(innen) vorab, jedenfalls teilweise beträchtlich, mit ihren Nebentätigkeiten überlastet sind.
Das Hessische Ministerium der Justiz hat für das Jahr 2012 bekannt gemacht, dass der prozentuale Anteil der Richter, die anzeige- und genehmigungspflichtige Nebentätigkeiten ausübten, am Oberlandesgericht 25,5%, an den Landgerichten 17,4%; am Verwaltungsgerichtshof 26,7%, an den Verwaltungsgerichten 35,0%; am hessischen Finanzgericht 42,9%; am Landesarbeitsgericht 75,0%, an den Arbeitsgerichten 48,8%; am Landessozialgericht 27,3%, an den Sozialgerichten 30,0% betrug. Die Vergütungsbeträge von 11 Arbeitsrichter(n)innen betrugen für Nebentätigkeiten, vorwiegend als Leiter von betrieblichen Einigungsstellen nach dem Betriebsverfassungsgesetz, je zwischen € 25.500,– und € 49.564,–. Es ist anzunehmen, dass die richterlichen Nebentätigkeiten in den anderen Bundesländern und an den Bundesgerichten einen ähnlichen Umfang hatten. Diese Nebentätigkeiten zweckentfremden richterliche Arbeitskraft, da sie meistens nur in der regulären Arbeits-zeit ausgeübt werden können.
Wenn diese Nebentätigkeiten, die größtenteils auch die richterliche Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) gefährden, versagt oder zumindest stark eingeschränkt werden, dann würde sich vermutlich herausstellen, dass die Richter nicht oder nur gering überlastet sind. Es wäre Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass sämtliche richterliche Nebentätigkeiten, die die richterliche Unabhängigkeit gefährden, untersagt werden. Es ist aber fraglich, ob die Politiker sich dazu bereitfinden, denn sie üben im Bund und in den Ländern selber zum Teil lukrative Nebentätigkeiten als Rechtsanwälte (MdB Peter Gauweiler), hohe Verbands- und Gewerkschaftsfunktionäre, Abgeordnete in Kommunalparlamenten und Kreistagen, als Vortragsredner (MdB Peer Steinbrück) etc. aus. Sie müssten, um den Richtern deren Nebentätigkeiten glaubhaft untersagen zu können, selber beispielhaft voran-gehen und ihre nebenher ausgeübten Zweit- oder Drittarbeitsplätze aufgeben. Offenbar geht dies den Politikern über ihre Kraft.
Leserbriefschreiber Fischer kann, wenn sich bei einem neuen Gerichtsprozess unverhältnismäßige Verzögerungen ergeben, den Gerichtspräsidenten fragen, ob der zuständige Richter Nebentätigkeiten ausübt, die mit der richterlichen Tätigkeit unvereinbar sind. Gemäß § 7e des Hessischen Richtergesetzes (Grundsatz bei Nebentätigkeiten) darf ein Richter eine Nebentätigkeit nur dann ausüben, wenn da-durch das Vertrauen in seine Unabhängigkeit, Unparteilichkeit oder Unbefangenheit nicht gefährdet wird. Der Anspruch auf Auskunft aus dem Nebentätigkeitsregister ergibt sich aus § 7m Abs.2 dieses Gesetzes. Außerdem kann er Dienstaufsichtsbeschwerde beim Gerichtspräsidenten erheben. Gemäß § 26 Abs. 2 Deutsches Richtergesetz ist die Dienstaufsicht, sie übt der jeweilige Gerichtspräsident aus, verpflichtet, den Richter u.a. zu „unverzögerter Erledigung der Amtsgeschäfte zu ermahnen.“ Der Gerichtspräsident darf diese Ermahnung trotz der richterlichen Unabhängigkeit aussprechen.
Mit freundlichen Grüßen
( Horst Trieflinger )
Vorsitzender
Frankfurter Rundschau
60266 Frankfurt am Main
24. Juli 2014
Wer ist Gustl Ferdinand Mollath? / FR vom 24.7.2014
Lieber Bronski,
in diesem ausführlichen Bericht über das Wiederaufnahmeverfahren von Gustl Mollath hat der vernommene Richter a.D. Otto Helmut Brixner, der Mollath im August 2006 nach vier Stunden Verhandlung in die Psychiatrie geschickt hatte, auf eine Frage geantwortet, er sehe einen „Verstoß gegen das Beratungsgeheimnis“. Diese Antwort macht deutlich, dass das richterliche Beratungsgeheimnis als Deckmantel für Richter dienen kann, die Wahrheit nicht äußern zu müssen. Der verstorbene SPD-Rechtspolitiker Adolf Arndt hat das Beratungsgeheimnis, das in den §§ 43 und 45 Deutsches Richtergesetz und in § 193 Gerichtsverfassungsgesetz geregelt ist, als sinnlos bezeichnet. Nach Adolf Arndt verdeckt das Beratungsgeheimnis die Tatsache, dass die gerichtliche Entscheidung nicht nur auf einer Wertung des Sachverhaltes beruhen kann: „Daß die rechtliche Entscheidung, die einen Sachverhalt wertet, als die richtige dem Gesetz entsprechende ausgegeben werden muß, folgt nur aus dem Gezwungensein des Gerichts, sich zu entscheiden, aber schließt nicht aus, daß Gründe auch für eine andere Auslegung des Gesetzes sprechen, eine Lage, die bei uns durch das sinnlose Beratungsgeheimnis verdeckt wird“ (Neue Juristische Wochenschrift 1967, Seite 1585). Anders ausgedrückt: Das Beratungsgeheimnis verhindert, dass, wenn das Richterkollegium den zu beurteilenden Sachverhalt verschieden bewertet hat, die abweichende Meinung bekannt wird. Dadurch wird auch die Rechtsfortbildung erschwert.
Das Beratungsgeheimnis hat einen weiteren, schweren Nachteil. Begeht ein Richterkollegium, in der Regel drei Berufsrichter oder ein Berufsrichter und zwei ehrenamtliche Richter oder Schöffen, Rechtsbeugung (§ 339 Strafgesetzbuch), also ein Verbrechen, so muss für jedes einzelne Mitglied dieses Spruchkörpers bewiesen werden, des es für die rechtsbeugerische Entscheidung gestimmt hat. Wenn nun einer behauptet, er habe gegen diese Entscheidung gestimmt und sei von den beiden anderen Mitgliedern überstimmt worden und bei einer Vernehmung sich sämtliche Richter auf das Beratungsgeheimnis berufen, dann läßt sich nicht beweisen, wer von den drei Richtern für die rechtsbeugerische Entscheidung gestimmt hat. Die Verurteilung wegen Rechtsbeugung ist in diesem Fall nicht möglich. Dies ist übrigens schon vorgekommen. Dann gilt § 339 StGB nur noch für den Einzelrichter. Ein rechtlich unhaltbarer Zustand.
Die Politik ist aufgerufen, das Beratungsgeheimnis im Interesse von mehr Rechtsstaatlichkeit abzuschaffen und allgemein die abweichende Meinung in der gerichtlichen Entscheidung zuzulassen, wie dies bereits für Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts möglich ist (§ 30 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz).
Ein drittes Argument für die Abschaffung: Richter urteilen im Namen des Volkes. Dann haben sie keinen Anspruch darauf, dass ihr Name dem Volke vorenthalten wird, wenn das Urteil durch einen Spruchkörper nicht einstimmig gefällt wurde.
Mit freundlichen Grüßen
( Horst Trieflinger )
Vorsitzender
Wer ist Gustl Ferdinand Mollath?, veröffentlicht in der FR am 29.7.2014
Horst Trieflinger Frankfurt, den 28.6.2014
Röderbergweg 34
60314 Frankfurt am Main
Frankfurter Allgemeine Zeitung
60267 Frankfurt am Main
Die Leiche war doch nicht zerstückelt / FAZ vom 28.6.2014
Sehr geehrte Frau Bubrowski,
in ihrem nötigen, informativen Bericht über Justizirrtümer, die teilweise verheerende Folgen für die zu Unrecht Verurteilten haben, heißt es, dass die Aufarbeitung von Justizirrtümern unzureichend ist. Dies, so BGH-Richter Ralf Eschelbach, ist u.a. darauf zurückzuführen, dass Richter mit Blick auf Urteile von Kollegen „strukturell voreingenommen“ seien. Anders ausgedrückt: Richter der Berufungs- oder der Revisionsinstanz bestätigen offensichtlich rechtsfehlerhafte Entscheidungen ihrer Kollegen, statt sie aufzuheben. Dem aufmerksamen Beobachter unserer Rechtsprechung ist diese Tatsache hinlänglich bekannt. BGH-Richter Ralf Eschelbach hat vor einigen Jahren Strafrechtsurteile auf Auffälligkeiten hin untersucht und schätzt nach einem von ihm mitverfassten Strafrechtskommentar den Anteil falscher Strafurteile auf ein Viertel.
Diese Voreingenommenheit ist auch bei der Dienstaufsicht über Richter festzustellen. Der Beschwerdeführer eines Fehlurteiles erhält vom Gerichtspräsidenten in der Regel die gesetzwidrige Antwort, er dürfe wegen der richterliche Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 Grundgesetz) die gerichtliche Entscheidung nicht bewerten. Dies verstößt gegen § 26 Abs. 2 Deutsches Richtergesetz, der die Dienstaufsicht regelt. Danach ist der Gerichtspräsident gesetzlich verpflichtet, dem Richter seine gesetz- oder rechtswidrige Entscheidung vorzuhalten und ihn zu ermahnen, zukünftig gesetzestreu zu entscheiden. Dr. Egon Schneider, ehemals Richter am Oberlandesgericht Köln, beklagt diese gesetzwidrige Praxis der Dienstaufsicht in der Zeitschrift für die Anwaltspraxis 2005, Seite 49, wie folgt: „Eine Crux unseres Rechtswesens ist das völlige Versagen der Dienstaufsicht gegenüber Richtern. … Welche Rechtsverletzungen Richter auch immer begehen mögen, ihnen droht kein Tadel.“ Eigentlich müsste der Präsident eines Gerichtes wissen, dass die richterliche Unabhängigkeit nicht bedeutet, frei von Verantwortung zu sein und sie daher kein Freibrief für gesetz- und rechtswidrige Entscheidungen, für nachlässiges Arbeiten, ungebührliches Verhalten in der Verhandlung etc. ist.
Gegen das gesetzwidrige Verhalten der Dienstaufsicht gegenüber Richtern gibt es eine Lösung, die zwar nicht vollkommen wäre, aber helfen würde, den viel zu hohen Anteil an Fehlentscheidungen zu reduzieren. Die Dienstaufsicht über Richter ist den Gerichtspräsidenten zu entziehen und sie auf einen von den Gerichtspräsidenten unabhängigen Justizombudsmann, wie in Schweden, zu übertragen. Wenn der Richter weiß, dass er seine Fehlentscheidung rechtfertigen muss, dann wird er sorgfältiger und gewissenhafter seine richterlichen Aufgaben verrichten. Die Politik wäre im Interesse einer verantwortungsvolleren, korrekteren Rechtsprechung, die viele unnötige Wiederaufnahmeverfahren verhindern könnte, verpflichtet, diesen Vorschlag umzusetzen.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Horst Trieflinger
WirtschaftsWoche vom 19.4.2014
Politik&Weltwirtschaft
Justiz: Die fragwürdigen Nebenverdienste deutscher Richter
Heft 14/2014
Qualitätsverlust
Ich danke Ihnen sehr für diesen nötigen Artikel und möchte die Aufzählung der Nebentätigkeiten noch ergänzen: Treuhänder für Banken und Versicherungen, Abgeordnete in Kommunalparlamenten und Herausgeber von Fachzeitschriften. Als Leiter von betrieblichen Einigungsstellen haben gemäß dem hessischen Ministerium der Justiz im Jahr 2012 elf Arbeitsrichter jeweils zwischen 25.500 und 49.564 Euro verdient. Diese vielen Nebentätigkeiten gefährden die richterliche Unabhängigkeit. Dass ein Teil der Arbeitskraft zweckentfremdet wird, kann zudem zu einem Qualitätsverlust der richterlichen Entscheidungen führen. Die Nebentätigkeiten vertragen sich auch nicht mit der Behauptung der Richterschaft, sie sei mit richterlichen Aufgaben überlastet. Der Bundesjustizminister und die Justizminister der Länder sind gefordert, richterliche Nebentätigkeiten, die zu Interessenkollisionen führen können, zu untersagen.
Horst Trieflinger
Frankfurt