Frankfurter Rundschau
Leserbriefe
60266 Frankfurt am Main
Kündigung wegen 1,30 Euro: 3. März 2009 Leserbrief von Werner Ronimi in der FR vom 3.3.2009
Lieber Bronski,
Leser Ronimi verteidigt in seinem Leserbrief vom 3.3.2009 die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den Bagatelldelikten. Dabei übersieht er, dass auch eine Entscheidung zu Gunsten der Kassiererin möglich gewesen wäre, die immerhin 31 Jahre für ihr Unternehmen tätig gewesen war. Die fristlose Kündigung wegen der unzulässigen Einlösung von zwei Pfandbons im Wert von 48 und 82 Cents (1,30 Euro) ist unverhältnismäßig und ungerecht. Das Landesarbeitsgericht hat sich offensichtlich an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 626 Bürgerliches Gesetzbuch (Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund) gehalten. Danach ist die fristlose Kündigung selbst dann gerechtfertigt, wenn das Vergehen im Diebstahl sehr geringer Beträge oder Sachen von geringem Wert besteht. Begründet wird dies u.a. mit dem Vertrauensverlust. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Gesetzesstaat und kein Präjudizienstaat. Die höchstrichterliche Rechtsprechung gilt daher nicht absolut. Die Untergerichte können von ihr abweichen, wenn sie dafür gute Argumente anführen können. Das Arbeitsgericht wie auch das Landesarbeitsgericht hätten wegen der sozialen Härte, die die BAG-Rechtsprechung in diesem Fall bedeutete, zu Gunsten der Kassiererin entscheiden können, indem sie die 31-Jährige Tätigkeit von Barbara E. für die Supermarktkette höher bewertet hätten als die gesetzwidrige Einlösung der beiden Pfandbons. Dieses Argument geht auf den bedeutenden Rechtstheoretiker Gustav Radbruch zurück, der zu Recht meinte, dass, wenn ein Gesetz oder eine Gesetzesvorschrift zu einem unerträglichen Ergebnis führt, es oder sie der Gerechtigkeit weichen soll. Dies gilt für die höchstrichterliche Rechtsprechung, die kein Gesetz ist, dann allemal.Die Richterin des Landesarbeitsgerichts hätte zu diesem Ergebnis auch kommen können, wenn sie sich an ihren Richtereid (§ 38 Deutsches Richtergesetz) erinnert hätte. Sie hat, wie alle Richter(innen), vor der Ernennung zur Richterin geschworen, u.a. der Gerechtigkeit zu dienen. Das Gebot, gerecht zu urteilen, hätte meines Erachtens für die Richterin des Landesarbeitsgerichts Anlass sein müssen, zwischen dem geringfügigen Vergehen und der 31-Jährigen Tätigkeit der Kassierein für ihr Unternehmen abzuwägen. Dieses Urteil dürfte mit dem Gebot der Gerechtigkeit nicht in Einklang zu bringen sein. Leider ist die kritiklose Übernahme und Anwendung höchstrichterlicher Rechtsprechung kein Einzelfall. Dieses Urteil sollten die Arbeitsrichter zum Anlass nehmen, ihre bedenkliche, wenn nicht gar lebensfremde Rechtsprechung zu den betrieblichen Bagatellvergehen zu überdenken und zu ändern. Diese könnte darin bestehen, dass in solchen Fällen die Unternehmen verpflichtet wären, vor der fristlosen Kündigung mindestens eine, wenn nicht gar zwei Abmahnungen auszusprechen.
Mit freundlichen Grüßen
( Horst Trieflinger )
Vorsitzender
Frankfurter Rundschau
Leserbriefe
60594 Frankfurt am Main
Der Leserbrief wurde am 25.2.2009 in der Frankfurter Rundschau und im FR-Blog veröffentlicht.
Wegen 1,30 Euro: Gericht bestätigt Kündigung von Kassiererin
Sehr geehrte Damen und Herren,
das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat die fristlose Kündigung der Kassiererin Barbara E. bestätigt. Das LAG sah es als erwiesen an, dass die 50-Jährige Kassiererin zwei Leergutbons im Wert von 48 und 82 Cents aus dem Kassenbüro der Kaiser’s-Supermarktfiliale entwendet und für ihre eigenen Einkäufe eingelöst hatte. Dem Unternehmen, so das LAG, sei es nicht zumutbar, Barbara E. trotz 31-Jähriger Tätigkeit für Kaiser’s bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zu beschäftigen.Es ist allgemein bekannt, dass nicht wenige Arbeitrichter einer Nebentätigkeit nachgehen. Vorzugsweise handelt es sich um die Leitung von betrieblichen Einigungsstellen. Das hessische Justizministerium hat für das Jahr 2004 bekannt gemacht, dass der prozentuale Anteil der hessischen Arbeitsrichter, die anzeige- und genehmigungspflichtige Nebentätigkeiten ausübten, an den Arbeitsgerichten 48,2 Prozent und am Landesarbeitsgericht sogar 87,5 Prozent betrug. Es ist davon auszugehen, dass der prozentuale Anteil der Berliner Arbeitsrichter, die einer Nebentätigkeit nachgehen, nicht stark von denen ihrer hessischen Kollegen abweicht.Die meisten dieser Nebentätigkeiten, z.B. als Leiter von betrieblichen Einigungsstellen, können nur in der regulären Arbeitszeit ausgeübt werden. Diese Nebentätigkeiten, die die richterliche Arbeitskraft zu Lasten des Steuerzahlers zweckentfremden, übersteigen den Wert der beiden Leergutbons immens. Dagegen soll gemäß ständiger arbeitsgerichtlicher Rechtsprechung der Diebstahl(sversuch) sehr geringer Beträge oder geringwertiger Sachen die fristlose Kündigung rechtfertigen.Gemäß Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz sind vor dem Gesetz alle Menschen gleich. Offenbar nicht, denn dem normalen Arbeitnehmer ist es in der Regel kraft Arbeitsvertrag verwehrt, während der Arbeitszeit einer Nebenbeschäftigung nachzugehen. Angesichts dieses Sachverhaltes ist die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zu den Bagatelldelikten nicht mit dem Gleichheitsgebot des Grundgesetzes in Einklang zu bringen. Dieses Urteil dürfte der sogenannten “doppelten Rechtsordnung” zuzuordnen sein. Sich und die Seinen misst die Rechtsprechung, die für sich keine “Nebenpflichten” gelten lässt, mit ganz anderen Maßstäben als Fremde.Dieses Urteil sollten die Arbeitsrichter zum Anlass nehmen, ihre bedenkliche, wenn nicht gar lebensfremde Rechtsprechung zu den betrieblichen Bagatellvergehen zu überdenken und zu ändern. In diesem Fall wäre es angemessen gewesen, die Kassiererin abzumahnen.
Mit freundlichen Grüßen
(Horst Trieflinger )
Vorsitzender
“Vor dem Gesetz sind Reiche gleicher / FR vom 19.9.2007”
Frankfurter Rundschau
Frau Astrid Hölscher
60266 Frankfurt am Main, 19. September 2007
Sehr geehrte Frau Hölscher,
Sie zitieren eine Amtsgerichtsdirektorin wie folgt: “Die Macht des Geldes werde gleiches Recht für alle rein faktisch zu verhindern wissen.” Offenbar ist auf diesen Richtertag in diesem Zusammenhang nicht thematisiert worden, dass nicht wenige Richter Nebentätigkeiten ausüben, mit denen sie teilweise mehr als in ihrem Hauptberuf verdienen. Es handelt sich besonders um richterliche Nebentätigkeiten als Treuhänder für Banken und Versicherungen, schiedsrichterliche Tätigkeiten (Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Unternehmen) und als Leiter von betrieblichen Einigungsstellen. Die FR berichtet am 13.11.2002, dass vier hessische Arbeitsrichter als Leiter von betrieblichen Einigungsstellen je zwischen € 50.000,– und € 100.000,– nebenher verdient haben.Es wäre schon einiges gewonnen, wenn die diese richterlichen Nebentätigkeiten, die Interessenkollisionen beinhalten, untersagt werden. Ein Richter, der von einem Unternehmen ein kräftiges Zubrot erhält, wird das Verhältnis zu diesem Unternehmen freundschaftlich gestalten. Kann ein Richter, der für eine Versicherung nebenher als Treuhänder tätig ist und von dieser je Jahr eine Vergütung erhält, für die viele Arbeitnehmer ein ganzes Jahr arbeiten müssen, über Klagen von Versicherungskunden noch unbefangen und unparteiisch urteilen? Die Lebenserfahrung schließt dies aus.Der Deutsche Richterbund und die Politik könnten dafür sorgen, dass zumindest in dieser Hinsicht die Macht des Geldes eingeschränkt wird, indem sie sich dafür einsetzen, dass diese Nebentätigkeiten untersagt werden. Leider ist festzustellen, dass hierzu so gut wie nichts geschieht. Statt die Macht des Geldes zu beklagen müsste im vorgenannten Sinne gehandelt werden.
Mit freundlichen Grüßen
( Horst Trieflinger )
Vorsitzender
„Unrecht im Namen des Volkes …/ Hamburger Morgenpost am Sonntag 14.1.2007
Morgenpost Verlag GmbH
Leserbriefe
Griegstr. 75
22763 Hamburg
16. Jan. 2007
Sehr geehrter Herr Wilms,
sicher lässt sich Unrecht im Namen des Volkes nicht ganz vermeiden, da irren menschlich ist. Richter sind keine besonderen Wesen, sondern auch nur Menschen, die irren können. Für die zahlreichen Fehlurteile gibt es aber justizinterne Gründe.
Gemäß ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) soll nur der schwerwiegende, d.h., der elementare Rechtsbruch Rechtsbeugung sein. Die Professoren Günter Bemmann, Manfred Seebode und Günter Spendel belegen in der „Zeitschrift für Rechtspolitik“ 1997, Seite 307 folgende, dass diese Auslegung gesetzwidrig ist, weil sie den Gesetzeswortlaut missachtet. Ebenfalls in ständiger BGH-Rechtsprechung soll die Dienstaufsicht im Kernbereich der richterlichen Tätigkeit nur bei offensichtlichen Fehlentscheidungen zulässig sein. Der BGH-Richter a.D. Dr. Herbert Arndt erläutert in der „Deutschen Richterzeitung“ 1978, Seite 78, dass die „Offensichtlichkeit“ im Richtergesetz keine Stütze findet. RA Dr. Egon Schneider, vordem Richter am Oberlandesgericht Köln, beklagt in der „Zeitschrift für die Anwaltspraxis“ vom 19.1.2005 (ZAP-Kolumne „Richterdienstaufsicht – ein Experiment“): „Eine crux unseres Rechtswesens ist das völlige Versagen der Dienstaufsicht gegenüber Richtern. Welche Rechtsverletzungen Richter auch immer begehen mögen, ihnen droht kein Tadel.“
Die gesetzwidrige, einschränkende Auslegung und Anwendung des Paragraphen 339 Strafgesetzbuch (Rechtsbeugung) und des Paragraphen 26 Absatz 2 Deutsches Richtergesetz (Dienstaufsicht) durch den Bundesgerichtshof sind die hauptsächlichen Gründe dafür, dass die der Rechtsprechung auferlegte Selbstkontrolle praktisch außer Kraft gesetzt ist. Die Richterschaft braucht Sanktionen, wie sie jeder Bürger bei Fehlverhalten zu gewärtigen hat, so gut wie nicht zu fürchten. Die Folge ist der mehr als bedenkliche Zustand der Rechtsprechung. Auch für die Rechtsprechung gilt: Unkontrollierte Macht korrumpiert.
Der Verein gegen Rechtsmissbrauch setzt sich dafür ein, dass der Rechtsbeugungsparagraph so geändert wird, dass er vom BGH nicht mehr gesetzwidrig ausgelegt und angewendet werden kann und die Dienstaufsicht über Richter von dem mittels Gesetzesänderung zu schaffenden Justizombudsmann (wie in Schweden) ausgeübt wird, der vom derzeit dienstaufsichtsführenden Gerichtspräsidenten unabhängig sein müsste.
Mit freundlichen Grüßen
( H. Trieflinger )
Vorsitzender
Fristlose Kündigung nach Treffen mit Kollegin / FR vom 23.12.2006
Frankfurter Rundschau
Leserbriefe
60266 Frankfurt am Main
23. Dez. 2006
Sehr geehrte Damen,
sehr geehrte Herren,
das Arbeitsgericht Frankfurt hat die fristlose Kündigung eines Computerspezialisten bestätigt, der, ohne die Stechuhr zu betätigen, sein Büro für drei Stunden verlassen hatte, um zum Finanzamt zu fahren und einen Tag später anderthalb Stunden mit einer Kollegin in der Kantine plauderte.
Das hessische Justizministerium hat für das Jahr 2004 bekannt gemacht, dass der prozentuale Anteil der hessischen Arbeitsrichter, die anzeige- und genehmigungspflichtige Nebentätigkeiten ausübten, an den Arbeitsgerichten 48,2 Prozent und am Landesarbeitsgericht sogar 87,5 Prozent betrug. 11 Arbeitsrichter haben 2004 mit Nebentätigkeiten Einkünfte zwischen je € 25.000,– und € 51.000,- erzielt. Die FR berichtete am 13.11.2002, dass im Jahr 2001 vier hessische Arbeitsrichter sogar Nebenverdienste von je € 50.000,- bis € 100.000,– erzielten. Die meisten dieser Nebentätigkeiten, z.B. als Leiter von betrieblichen Einigungsstellen, können nur in der regulären Arbeitszeit ausgeübt werden.
Diese Nebentätigkeiten, die richterliche Arbeitskraft zweckentfremdet und dazu noch zu Lasten des Steuerzahlers, ist legal. Dagegen soll gemäß Urteil des Arbeitsgericht die zweimalige relativ kurze zweckwidrige Arbeitsunterbrechung Betrugsversuch sein und die fristlose Kündigung rechtfertigen. Gemäß Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz sind vor dem Gesetz alle Menschen gleich. Offenbar nicht, denn dem normalen Arbeitnehmer ist es in der Regel kraft Arbeitsvertrag verwehrt, während der Arbeitszeit zu Lasten seiner Tätigkeit einer Nebenbeschäftigung nachzugehen. Angesichts dieses Sachverhaltes ist die Auffassung des Computerspezialisten verständlich, dass die Abmahnung der Sache angemessener gewesen wäre, evtl. mit der Auflage, die zweckentfremdete Zeit nachzuarbeiten.
Dieses Urteil dürfte der sogenannten „doppelten Rechtsordnung“ zuzuordnen sein. Sich und die Seinen misst die Rechtsprechung mit ganz anderen Maßstäben als Fremde.
Mit freundlichen Grüßen
( Horst Trieflinger )
Vorsitzender
Die Entfesselung der dritten Gewalt / SZ vom 6.4.2006
Süddeutsche Zeitung
Herrn Heribert Prantl
Sendlinger Str. 8
80331 München
8. April 2006
Sehr geehrter Herr Prantl,
in Ihrem ausführlichen Bericht über die Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit habe ich den Hinweis vermisst, dass ein beträchtlicher Prozentsatz der Richterschaft zum Teil lukrative Nebentätigkeiten ausübt, mit denen sie teilweise mehr als in ihrem Hauptberuf verdienen. Trotz angeblicher Arbeitsüberlastung sind nicht wenige Richter(innen) nebenher als Treuhänder für Banken und Versicherungen, als Leiter von betrieblichen Einigungsstellen, als Vortragsredner und Seminarleiter, vorzugsweise für Banken und Versicherungen, und als Schiedsrichter tätig. Diese Aufzählung ist keineswegs vollständig.
Kann ein Richter, der für eine Versicherung als Treuhänder tätig ist und von dieser je Jahr ein kräftiges Zubrot erhält, über Klagen von Versicherungskunden noch unbefangen und unparteiisch urteilen? Die Lebenserfahrung schließt dies aus. Die zuvor genannten Nebentätigkeiten gefährden nicht nur die richterliche Unabhängigkeit, wie sie Art. 97 Abs. 1 Grundgesetz gewährt, sondern vor allem die innere Unabhängigkeit, wie sie § 38 Deutsches Richtergesetz (Richtereid) gebietet, wonach der Richter u.a. „ohne Ansehen der Person zu urteilen“ hat.
Ein weiteres Problem sind die vielen Nebentätigkeiten von Richtern/Richterinnen in Kommunalparlamenten und Kreistagen. Dr. Ralf Bernhard kommt in seiner gründlichen Monographie „Richteramt und Kommunalmandat“, Duncker & Humblot, Berlin 1983, Seite 235, zu dem Ergebnis, dass diese Nebentätigkeiten gegen das grundgesetzliche Gebot der Gewaltentrennung (Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz) und gegen § 4 Deutsches Richtergesetz (unvereinbare Aufgaben) verstoßen.
Sie meinen zum Schluss Ihres Artikels zu Recht, die unabhängigen Richter müssen aus ihren Abhängigkeiten von der Exekutive befreit werden. Hinzukommen muss, dass die betroffenen Richter sich von ihren freiwillig eingegangenen Abhängigkeiten in der Wirtschaft lösen müssen, um durchgängig wahrhaft unabhängig und unparteiisch im Interesse der Rechtsuchenden urteilen zu können. Ggfs. ist die Politik gefordert, hierfür zu sorgen.
Mit freundlichen Grüßen
( H. Trieflinger )
Vorsitzender