Leserbrief an die Frankfurter Rundschau zum Artikel: „Barley: ‚Was Gerichte entscheiden, muss gelten,“ vom 16.7.2018

Lieber Herr Büge,

gemäß diesem Artikel hat Bundesjustizministerin Barley, die zuvor u.a. als Rechtsanwältin tätig war, also Volljuristin ist, erklärt: „Was unabhängige Gerichte entscheiden, muss gelten.“ Dies ist dieser uneingeschränkten Aussage unzutreffend. Richterinnen und Richter wissen, dass auch sie irren können. Der Bundesgerichtshof hat deshalb entschieden, dabei handelt es sich um die Fortführung der Rechtsprechung des Reichsgerichts, dass man aus einem zwar nicht arglistig erwirktem Zivilurteil, dass unhaltbar, also rechtsfehlerhaft ist, nicht vollstrecken oder sonst wie geltend machen darf. Wer dies trotzdem tut, macht sich der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung schuldig (§ 826 Bürgerliches Gesetzbuch).

Frau Barley ist in diesem Zusammenhang zu empfehlen, den Aufsatz von Josef Kohler „Aequitas gegen res judicata“ (freie Übersetzung: „Gerechtigkeit gegen Urteile“) zu lesen, den er im Archiv für die Civilistische Praxis, 1916, Band 114, veröffentlicht hat. Herr Kohler hat in diesem Aufsatz zwei bemerkenswerte Erkenntnisse ausgesprochen, die die Bundesjustizministerin veranlassen könnte, unsere Rechtsprechung realistischer zu beurteilen: „Was falsch ist, ist falsch und bleibt falsch, und wenn es auch durch tausend Urteile bestätigt wurde“. Und: „Daß durch die Rechtskraft auch die juristische Richtigkeit des Urteils unantastbar werde, dies hat kein Gesetzgeber bestimmt und kann kein Gesetzgeber in sachgemäßer Weise bestimmen. Kein Gesetzgeber kann verlangen, daß man einer richterlichen Entscheidung eine göttliche Unfehlbarkeit zuschreibt.“

Ich bin nicht in der Lage zu beurteilen, ob das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen rechtsfehlerfrei entschieden hat. Mir ging es darum, deutlich zu machen, dass man aus guten Gründen richterlichen Entscheidungen nicht immer folgen muss.

Mit freundlichen Grüßen

( Horst Trieflinger )
Vorsitzender

Leserbrief als PDF

Nach oben scrollen